Krisenfrüherkennung
Bei der Krisenfrüherkennung gibt es erhebliche Unterschiede. Das StaRUG – Gesetz sieht eine Verpflichtung
der Geschäftsleitung eines haftungsbeschränkten Rechtsträgers vor, fortlaufend über Entwicklungen, die den Fortbestand ihrer Gesellschaft gefährden können, zu wachen. Sie hat geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen und ihren Überwachungsorganen – Aufsichtsrat oder Gesellschafterversammlung – Bericht zu erstatten, wenn sie solche Entwicklungen erkennen. Entsprechende Regelungen in dieser Hinsicht existieren auch schon für Aktiengesellschaften ($91 AktG) vor Einführung des StarUG. Eine aktuelle in die Zukunft gerichtete Planung (integrierte Finanzplanung) ist daher eine gesetzliche Verpflichtung für einen deutschen Geschäftsführer... Stellt sich die Frage inwieweit das wirklich in der Praxis respektiert wird... trotz des scharfen Schwertes der persönlichen Haftung in Deutschland... Doch wehe, dem Unternehmen geht es schlecht und man kommt in die Insolvenzantragspflichten der deutschen Insolvenzordnung. Strafrechtlich ist man dann schnell dabei über den § 15a der InsO. Vor allem aber die Haftung für Zahlungen nach Insolvenzreife (Verschleppungshaftung gem. § 15b InsO ) kann dem Geschäftsführer Haus und Hof kosten....
In Frankreich hat die Krisenfrüherkennung schon lange Tradition. Dazu gehört auch das sogenannte Warnverfahren (sog. procédure d'alerte eingeführt in 1984), das der Abschlussprüfer der Gesellschaft unverzüglich einzuleiten hat, wenn er bei der Prüfung Tatsachen feststellt, die der Annahme der Unternehmensfortführung entgegenstehen könnten. In Frankreich können Wirtschaftsprüfer im Extremfall eine direkte Kommunikation mit den Aktionären erzwingen, wenn die Ausführungen der Unternehmensleitung und der Aufsichtsorgane nicht ausreichend sind. Diese Machtposition geht sogar so weit, dass die Wirtschaftsprüfer selbst die Gesellschafterversammlung einberufen können, wenn das Management sich weigert – was in Deutschland undenkbar ist.
Weiterhin hat ein Unternehmen in Frankreich (ab einer gewissen Grössenordnung: 300 Beschäftigte oder Umsatz > 18 M€) die Verpflichtung, alle 6 Monate einen Status aufzustellen, indem es darstellen muss, ob es in der Lage ist, seine fälligen Verbindlichkeiten mit seinen verfügbaren Aktiva zu begleichen. Mit anderen Worten: Schafft man es noch, seine Schulden oder deren Fälligkeiten mit den verfügbaren Mitteln (insbesondere cash) zu begleichen. Weiterhin muss das Unternehmen spätestens 4 Monate nach dem Jahresabschlussdatum eine Plan-GuV und einen Liquiditätsplan für das laufende Jahr einreichen und diese nach Ablauf des 1. Semesters revidieren. Die Dokumente müssen dem Aufsichtsrat, Wirtschaftsprüfer und dem Betriebsrat vorgelegt werden.
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Außergerichtlichen Sanierung
Insbesondere die Instrumentarien zur außergerichtlichen Sanierung in Deutschland (StaRUG) scheint bisher wohl kein Erfolgsschlager zu sein, da laut eines Reports des Verlags INDat in 2021 bei den 24 deutschen Restrukturierungsgerichten nur 22 Anzeigen für ein Restrukturierungsvorhaben bei den Gerichten eingegangen sind. (Da StaRUG-Verfahren nicht per se öffentlich sind, dürfte dies aber eine konservative Zahl sein). In Frankreich hingegen haben vorinsolvenzliche vertrauliche Präventionsverfahren eine sehr lange Tradition und werden häufig genutzt. Besonders erfolgreich ist die vorinsolvenzliche „Conciliation.“ Sie kann eingeleitet werden, wenn rechtliche, wirtschaftliche oder finanzielle Schwierigkeiten bestehen. Der Schuldner darf hierbei seit höchstens 45 Tagen zahlungsunfähig sein. Damit stellt das Schlichtungsverfahren sowohl ein präventives Restrukturierungsinstrument als auch eine Alternative zum Insolvenzverfahren dar. In Frankreich wurden laut der französischen französischen Insolvenzverwalterkammer (Conseil National Administrateurs Judiciaires et des Mandataires Judiciaires (CNAJMJ) ) 5592 Fälle von Präventionsverfahren (davon 1842 „Conciliations“) in 2021 angezeigt.
Im Zusammenhang mit den französischen Präventionsverfahren ist insbesondere die Nutzung des Instruments des „prepack cession“ zu erwähnen. Hier wird die vollständige oder teilweise Übernahme von Vermögenswerten im vertraulichen Rahmen eines Präventionsverfahrens vorbereitet und dann im Rahmen eines verkürzten Insolvenzverfahrens umgesetzt. Somit wird Vertraulichkeit bei der Vorbereitung des Deals und damit die Vermeidung von Reputationsverlust mit der Rechtssicherheit des Insolvenzverfahrens bei der Implementierung des Deals verbunden.
Das deutsche „StaRUG-Verfahren“ ist ebenfalls nicht-öffentlich, sodass nicht betroffene Vertragspartner keine Kenntnis von dem Sanierungsverfahren erlangen müssen. Allerdings kann mithilfe dieses Verfahrens, anders als im französischen „prepack cession“, nicht in laufende Verträge für die Zukunft ein gegriffen werden. Zumeist erfordert eine operative Sanierung auch die Modifizierung oder Beendigung laufender Verträge. Ein Sanierungs-verfahren im Rahmen der Insolvenz in Eigenverwaltung oder das Schutzschirmverfahren ermöglichen anders als beim StaRUG -Verfahren auch eine Änderung der laufenden Verträge. Das französische „prepack cession“ ermöglicht ein „cherry picking“ indem der zukünftige Übernehmer die freie Wahl hat, welche Mitarbeiter, welche Aktiva und welche Verträge er übernimmt. Damit wird auch eine leistungswirtschaftliche Sanierung des zu übernehmenden Betriebes möglich, ohne direkt gleich mit einem öffentlichen Insolvenz-verfahren den Veräusserungsprozess zu beginnen. Lediglich die Implementierung erfordert ein Insolvenzverfahren.
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Strafbarkeit und Haftung
Betreffend der Strafbarkeit einer Verletzung der Antragspflicht wie im deutschen § 15a InsO abgebildet, sieht die französische Gesetzgebung keine spezielle Norm vor. Lediglich in Fällen die den Tatbestand des Bankrotts (banqueroute) nach Art. L654-1 bis L657-7 Code de commerce erfüllen (z.B. das Betreiben nicht marktüblicher Geschäfte in der Absicht, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu verzögern, Veruntreuung, fiktive Buchhaltung) sind Sanktionen vorgesehen. Geschäftsleiter in Frankreich laufen hier in Gefahr, dass ihnen anstatt einer strafrechtlichen Haftung, die Übernahme der Leitung von Unternehmen für die Zukunft verboten wird. Betreffend der Insolvenzverschleppung haben die Gerichte gem. einem Urteil des französischer Kassationsgerichtshof (Cour de cassation) vom 12.01.2022 konkret zu prüfen, ob die Pflicht Insolvenzantrag spätestens 45 Tage ab Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit zu stellen, mit der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters eingehalten wurde.
Auch im Hinblick auf die zivilrechtliche Haftung für Zahlungen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit ist das französische Insolvenzrecht weniger streng als das deutsche Recht. Die Haftung für Unterdeckung der Vermögenswerte (responsabilité pour insuffisance d’actif) nach Art. L651-4 bis L651-4 code de commerce setzt voraus, dass der Geschäftsleiter ein sog. „Geschäftsführungsfehler“ begangen hat. Zahlungen bei kongruenter Deckung nach Eintritt der Insolvenzreife stellen beispielsweise keine Geschäftsführungsfehler dar. Weiterhin hat
der Gesetzgeber 2016 in der Bestimmung des Art. L651-2 die Einschränkung hinzugefügt, dass bei leicht fahrlässig
begangenen Geschäftsführungsfehlern die Haftung ausgeschlossen ist.