Die EU-Kommission hat am 7. Dezember 2022 einen Richtlinienentwurf (2022/0408) zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Insolvenzrechts in den Mitgliedsstaaten vorgelegt.
Ein Vorschlag des Richtlinienentwurfs ist das sogenannte « Pre-Pack-Verfahren », das Distressed-M&A Deals vereinfachen soll. Ein Unternehmensverkauf soll dabei schon in einer Vorbereitungsphase zum eigentlichen Insolvenzverfahren ausgehandelt werden. Zu Beginn der Liquidationsphase soll der Kauf vom Insolvenzgericht bestätigt und dann zügig abgewickelt und die Erlöse an die Gläubiger ausgezahlt werden.
Das Verfahren ist in Frankreich schon länger bekannt und ist im Kontext der Zielsetzung und Entwicklung des französischen Insolvenzrechts zu betrachten.
Interventionistisches und voluntaristisches Recht
Das französische Insolvenzrecht ist Bestandteil des französischen Handelsrechts (Kapitel 6 des „Code du Commerce“) und wird daher als „Recht des Kaufmannes“ angesehen. Im rechtlichen Sprachgebrauch wird auch vorrangig der Begriff „Recht der in Schwierigkeiten befindlicher Unternehmen“ („Droit des entreprises en difficultés“) und nicht der Begriff „Insolvenzrecht“ verwendet. Die Regelungen knüpfen vorrangig an den Gedanken der Unternehmenssanierung und Arbeitsplatzerhaltung an im Gegensatz zum deutschen Insolvenzrecht, wo die Gläubigerbefriedigung im Vordergrund steht.
Die Philosophie der französischen Wirtschaftspolitik mit mehr oder weniger direkten Interventionen in die Märkte und das durch öffentliche und staatliche Regulierungen bestimmte wirtschaftliche Umfeld wirken sich stark auf Ausgestaltung des französischen Rechts für „Unternehmen in Schwierigkeiten“ aus.
Das französische „Pre-Pack Verfahren“ („prepack cession“) drückt diese Philosophie des Primats der Unternehmensrettung deutlich aus. Eingeführt im Jahr 2014 durch eine gesetzliche Verordnung (ordonnance n°2014-236 du 12 mars 2014) werden zwei Instrumente des französischen Rechts für Unternehmen in Schwierigkeiten kombiniert:
Das vertrauliche Präventionsverfahren (in Form einer « procédure de conciliation » oder eines « mandat ad hoc ») zur Vorbereitung des Unternehmensverkaufs (= Phase 1) und
ein Kollektiv-/ Insolvenzverfahren (häufig ein Liquidationsverfahren mit Fortführung der Geschäftstätigkeit oder ein Sanierungsverfahren) zur rechtssicheren Implementierung des Unternehmensverkaufs (=Phase 2).
Im Rahmen des Präventionsverfahren, welches vom Schuldner beantragt wird, wird eine vollständige oder teilweise Übernahme von Vermögenswerten vorbereitet. Das Verfahren ist weitestgehend vertraulich. Ein Urteil des französischen Kassationsgerichtshof (Cour de cassation 5.10.2022, n° 21-13.108) erläutert die strenge Vertraulichkeit der Verfahren. Unter Leitung eines vom Gericht für einen Zeitraum von 4 bis maximal 5 Monaten bestellten Schlichters (i.d.R sind dies Insolvenzverwalter) soll eine Einigung des Schuldners mit seinen wesentlichen Gläubigern in Form eines Schlichtungsvertrages erreicht werden. Die Geschäftsführung, die in diesem Verfahren voll handlungsfähig ist, beantragt bei Gericht, den Auftrag des Schlichters auf die Organisation eines « prepack cession » auszuweiten. Der Schlichter stimmt der Erweiterung seines Auftrags zu. Sodann muss das Handelsgericht die Auftragserweiterung beschließen. Danach kann der Schlichter und die Geschäftsführung mit der – vertraulichen – Suche nach möglichen Übernahmekandidaten beginnen. Sobald ein oder mehrere geeignete Kandidaten gefunden sind, wird in Übernahmeverhandlungen eingetreten und die Kandidaten bereiten ein Übernahmeangebot vor, das sie dem Schlichter vorlegen.
Der Vorteil liegt auf der Hand: Der Veräußerungsprozess kann vorbereitet werden, ohne das Stigma der Insolvenz. Somit wird ein Wertverlust des zu übertragenden Geschäfts weitgehend vermieden und es kann ein besserer Wert erzielt werden als in einem öffentlichen Insolvenzverfahren.
Die Problematik dieses Verfahrens besteht regelmäßig darin, ausreichend Wettbewerb, Transparenz und Fairness mit Blick auf den Verkaufsprozess zu schaffen und damit auch im Ergebnis eine bestmögliche Gläubigerbefriedigung zu gewährleisten. Hier liegt auch häufig die Kritik an diesem Verfahren.
„Cherry Picking“ im Rahmen des Verfahrens möglich
Der Erwerber hat volle Wahlfreiheit: Entweder er übernimmt das gesamte Unternehmen (in aller Regel im Rahmen eines Asset Deals), oder nur einen bestimmten Geschäftszweig. Er kann also nur die attraktiven Teile des Unternehmens auswählen und sich auch auf die Übernahme nur einer bestimmten Anzahl von Mitarbeitern begrenzen. Somit ist der Erwerber in der Lage frei zu wählen, welche Arbeitnehmer und Vermögenswerte er übernehmen will. Er kann auch frei wählen, in welche Verträge er eintreten will. Die nicht übernommenen Mitarbeiter werden im Rahmen des später folgenden Kollektiverfahrens entweder bei gelungener Sanierung des Restunternehmens weiterbeschäftigt oder im Rahmen eines Liquidationsverfahrens vom Insolvenzverwalter entlassen. Der Übernehmer muss also später keine Kosten für die Entlassung der nicht übernommenen Arbeitnehmer tragen. Dies ist ein Vorteil gegenüber dem Erwerb aus dem deutschen Insolvenzverfahren, da hier häufig ein Betriebsübergang nach $ 613a BGB vorliegt. Weiterhin muss der Erwerber keine Schulden und Sicherheiten übernehmen.
Nachdem ein oder mehrere Kandidaten für die Übernahme gefunden sowie die Verhandlungen eingeleitet wurden, bereiten die Kandidaten ein Übernahmeangebot vor, das sie dem Schlichter („Conciliateur“ oder „mandataire ad hoc“) vorlegen. Diese Übernahmeangebote müssen spezifischen Formvorschriften des Gesetzes (Code du Commerce) entsprechen.
Implementierung des Deals im Rahmen eines Kollektivverfahrens
Die Geschäftsführung beantragt beim Handelsgericht die Eröffnung des Kollektivverfahrens sowie gleichzeitig die Umsetzung des prepack cession – das Insolvenzverfahren wird letztlich nur zu dem Zweck eröffnet, den prepack cession umzusetzen. Nimmt das Kollektivverfahren die Form eines Sanierungsverfahren („Redressement judiciaire“) oder eines Insolvenzverfahrens mit Liquidation („Liquidation judiciaire“) an, ist eine Zahlungsunfähigkeit erforderlich.
Es folgt eine Anhörung des Schlichters und eine Stellungnahme des Staatsanwaltes („procureur de la République“) dessen Rolle es vor allem ist, die Ordnungsmäßigkeit des Prozesses zu garantieren und Interessenkonflikte und Unstimmigkeiten im Verfahren zu verhindern. Das Gericht prüft im Verfahren weiterhin, ob der Schlichter eine ausreichend transparente und umfangreiche Suche nach Übernahmekandidaten durchgeführt hat.
Sofern die Übernahmeangebote die gesetzlichen Bedingungen erfüllen und der Bericht des Schlichters zum Ergebnis kommt, dass diese zufriedenstellend sind, kann das Gericht nach freiem Ermessen beschließen, den « prepack cession » umzusetzen.
Das leitende Kriterium für die Festsetzung des Veräußerungsplans ist die Sicherung der Arbeitsplätze. Artikel L. 642-5 des Handelsgesetzes („Code du Commerce“) legt die Beurteilungskriterien fest: “ (...) das Gericht wählt das Angebot aus, das unter den besten Bedingungen die dauerhafteste Sicherung der mit der abgetretenen Einheit verbundenen Arbeitsplätze und die Befriedigung der Gläubiger ermöglicht und die besten Ausführungsgarantien bietet.“
Das Gericht kann weiterhin entscheiden, keine öffentliche Ausschreibung durchzuführen und keine Frist für die Einreichung von Angeboten festzulegen. Es lässt sich in seiner Entscheidung hierbei in der Praxis von den Gegebenheiten des Einzelfalls leiten. Beispielsweise werden bei einem wettbewerbsorientierten Markt, der eine schnelle Veräußerung erfordert (Dringlichkeit, um eine Verschlechterung des Betriebs und eine Wertminderung der Vermögenswerte zu vermeiden), die Anforderungen an die durchgeführte Suche nach Übernahmekandidaten weniger hoch sein als bei einem geschlossenen Markt mit einer geringen Wahrscheinlichkeit, Übernehmer zu finden.
Das Gericht bestimmt dann mit dem Erlass des Eröffnungsbeschlusses des Kollektivverfahrens lediglich einen Termin zur Prüfung der Übernahmeangebote (in der Regel drei bis fünf Wochen nach dem Eröffnungsbeschluss).
Bis acht Tage vor diesem Termin können andere Übernahmekandidaten ihre Angebote einreichen. Auch der oder die Kandidaten aus Phase 1 können ihr Übernahmeangebot nochmals überarbeiten. Kurz vor dem Prüfungstermin gibt sowohl der Schlichter als auch die Arbeitnehmervertreter des Unternehmens eine Stellungnahme ab. Nach dem Prüfungstermin setzt das Handelsgericht dann den endgültigen Gerichtstermin für die Feststellung des Veräußerungsplan fest. Das leitende Kriterium bei dieser Festsetzung ist wie o.g. vor allem der Erhalt der Arbeitsplätze.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist der Umstand, dass das Gericht auch bei Beschluss der Umsetzung eines « prepack cession » nicht automatisch das darin enthaltene Übernahmeangebot auch bei der Festsetzung des Veräußerungsplan berücksichtigen muss. Es kann sich letztendlich sogar dazu entscheiden, alle vorliegenden Angebote zu verwerfen.
Wichtig erscheint daher, dass in Phase 1 ein strukturierter transparenter Suchprozess möglichst durch einen unabhängigen Dritten (z.B. Investmentbank) durchgeführt wird und eine sehr enge Abstimmung zwischen Management, Schlichter, Übernahmekandidat und letztendlich der Arbeitnehmervertreter erfolgt, um so dem Gericht das Übernahmeprojekt überzeugend zu präsentieren und Ihm eine transparente Grundlage für seine Entscheidung zu geben.
Ein weiterer wichtiger Aspekt der Implementierung des „prepack cession“ per Gerichtsbeschluss ist der Umstand, dass die Übernahme der betriebsnotwendigen Verträge von keiner Zustimmung des Vertragspartners abhängig ist. Die Übernahme der Verträge wird also auch bei einem Asset-Deal „gerichtlich erzwungen“.
Der « Pre-Pack » « à la française » ist gekennzeichnet durch das Primat der Unternehmensrettung und Arbeitsplatzsicherung und durch einen voluntaristischen Ansatz das Veräußerungsprojekt schnell und mit möglichst geringem Wertverlust an den Übernehmer zu übertragen. Dabei wird dem Gericht ein hoher Entscheidungsspielraum eingeräumt, der insbesondere was die Transparenz und Wettbewerbsfähigkeit des Bieterprozesses betrifft, kritisiert wird. Es bleibt abzuwarten, wie der französische Gesetzgeber die Dispositionen einer finalen EU-Richtlinie umsetzt. Insbesondere die Orientierung zu einer mehr Gläubigerorientierten Ausgestaltung des Insolvenzrechts durch die EU-Richtlinien kann ein Spannungsfeld in der französischen Gesetzgebung erzeugen.